Krankengeschichte 19. Oktober 1902
«Hat den Sommer hindurch fleissig gezeichnet und jede Woche sein Bleistift verbraucht, seine Zeichnereien sind ganz blödes Zeug, ein wirres Durcheinander von Noten, Worten, Figuren, den einzelnen Bogen gibt er phantastische Namen wie Posaunenstrang, Unterschlung etc.»
Als eigenständige Werkgruppe von grosser zeichnerischer Qualität und bildhafter Vision bilden die Blätter aus dem Frühwerk die Grundlage, auf der sich Wölflis Kunst entwickelt. In diesen Arbeiten sind bereits jene formalen und inhaltlichen Elemente erkennbar, die für die Kontinuität des Schaffens wichtig werden. Die strukturierenden Grundelemente sind die Notenlinien, die aber noch nicht mit Noten aufgefüllt werden. Die erzählerischen Szenen sind eingefügt in ein reiches ornamentales Zierwerk, das durchsetzt ist mit Textpassagen. Er weitet seine Kompositionen von einem Blatt auf zwei oder vier Blätter aus. Hier kündet sich bereits seine Neigung zum Arbeiten in Serien und seine Hinwendung zum Erzählerischen an. Die schwarzweiss Zeichnungen auf unbedrucktes Zeitungspapier sind zuweilen signiert mit: «Adolf Wölfli, Komponist von Schangnau». Wölfli beschreibt diese Blätter sodann als «musikalische Kompositionen».
Krankengeschichte November 1900
«Pat. war den Sommer über sehr ordentlich, zeichnet viel Noten und komponiert, wie er sagt grössere Tonstücke.»
Um 1907 vollzieht Wölfli den Wechsel zur Farbe, die besonders für die Zeichnungen in seinen Schriften zu einem prägenden Gestaltungselement werden soll. Diese Hinwindung ist möglicherweise durch Walter Morgenthaler angeregt. Der junge Arzt und Psychiater Walter Morgenthaler absolviert zuerst im Jahr 1907 als Volontärarzt ein Praktikum an der Waldau. Er kehrt von 1908 bis 1910 als Assistenzarzt an die Waldau zurück und ist von 1913 bis 1920 dort als Oberarzt tätig.
Morgenthaler begleitet und unterstützt Wölflis Schaffen. 1921 veröffentlicht er als unmittelbarer Zeuge eine Monographie über Wölflis Leben und Werk; ein Pionierwerk auf dem Gebiet Psychopathologie und Kunst, das bis heute seine Gültigkeit hat. Es trägt den programmatischen Titel «Ein Geisteskraker als Künstler». Erstmals wird der Patient als Künstler bezeichnet und mit seinem vollen Namen (nicht mit den gebräuchlichen Initialen) vorgestellt.